Der Kimono als Ideenpool für japanisches Textilhandwerk
Unzählige japanische Färbe- und Webtechniken haben sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt und erlangten zum Teil sogar Weltruhm. Bis zur späten Mitte des 19. Jahrhunderts erfreute sich der Kimono einer ständig wachsenden Beliebtheit und dann… öffnete sich Japan für den Westen. Mit allen positiven und negativen Konsequenzen.
Für den Kimono hieß es spätestens ab den 1970er Jahren Abschied nehmen aus dem japanischen Alltag, langsam und stetig.
Wer trägt schon Kimono?!
Fast niemand in Japan trägt heutzutage täglich Kimono oder lernt von klein auf die Bedeutungen der verschiedenen Kimono-Arten. Männer tragen ihn allerhöchstens noch auf ihrer Hochzeit und junge Frauen wissen nicht mehr, wie man den Obi bindet. Viele Japaner geben zu, nie oder höchstens einmal in ihrem Leben einen Kimono (nicht Yukata!) getragen zu haben.
Am ehesten halten Teilnehmer der Teezeremonie oder der traditionellen Kampfkünste und ganz speziell Geisha und Maiko am althergebrachten Kleidungskodex fest und sichern so das Überleben des Kimono wenigstens in einigen Nischen. Aber das alleine reicht bei weitem nicht aus, um japanisches Textilhandwerk auf Dauer effektiv am Leben zu halten.
Japanisches Textilhandwerk mit Nachwuchssorgen
In Kyoto hat die Herstellung von Kimono- und Obistoffen eine Jahrhunderte alte Tradition, und noch bis 1975 waren dort ganze 1500 Webereien auf die Herstellung des hochgeschätzten Textils spezialisiert. Danach begann parallel zur sinkenden Beliebtheit und geringen Alltagstauglichkeit des Kimono die Zahl der Webereien rapide abzunehmen. So gibt es gegenwärtig in Nishijin / Kyôto nur noch bescheidene 500 Betriebe, die in diesem Handwerkszweig mehr schlecht als recht überleben können. Das japanische Textilhandwerk mit all seinen anhängenden Klein- und Kleinstbetrieben ist stark gefährdet.
Nachwuchsmangel
Der Mangel an Nachwuchs-Handwerkern ist eine logische Konsequenz: man ist schon auf verlassenem Posten, wenn man als Auszubildender den Mut findet, eine aussterbende Handwerkstechnik über etliche Jahre hinweg zu erlernen. Die Aussichtslosigkeit, mit einem Produkt sein tägliches Brot zu verdienen, dessen Nachfrage ständig sinkt, schreckt viele junge Handwerker ab, die sich auf diesen zähen Kampf nicht einlassen möchten. Da mag das japanische Textilhandwerk eine noch so faszinierende, alte Tradition haben; die Arbeitsbedingungen sind eben nicht jedermanns Sache.
So werden die ohnehin schon alten Handwerker immer älter, nehmen ihre Fähigkeiten und Jahrhunderte altes Wissen mit ins Grab und uralte Handwerkstechniken sterben aus.
Den Kimono fördern
Gewiss, es gibt Förderprogramme, Stipendien und Subventionen von der Regierung. Eine Möglichkeit ist die finanzielle Förderung von Handwerkern, die eine selten gewordene Technik beherrschen. Ob dies als rettender Strohhalm jedoch ausreicht, um das schwächelnde Kimono-Handwerk am Leben zu erhalten, wird sich noch herausstellen.
Kimono außerhalb Japans mit anderem Gesicht

Zum Glück erfreut sich nicht nur japanisches Textilhandwerk im Allgemeinen, sondern insbesondere der Kimono außerhalb Japans als Kleidungsstück noch wachsender Beliebtheit. Speziell in den USA und Europa.
Überhaupt ist die Welle der Begeisterung für japanische Stoffe längst auf die westliche Welt übergeschwappt, wenn auch die Verwendungszwecke dort nicht immer den japanischen Vorstellungen entsprechen mögen.
Vielleicht findet aber die unorthodoxe und beizeiten radikale Umwandlung von Kimono und Obi in geradezu banale Dinge des täglichen Lebens einen Widerhall in Japan, der für dieses traditionelle Material neue, wiederbelebende Wege erschließt. Vielleicht ist eben nicht einfach nur Wiederbelebung, sondern Metamorphose angesagt; das japanische Textilhandwerk muss sich einer Verjüngungskur unterziehen und weltoffener werden.